Gleitender Durchschnitt: Basis-Indikator für Technische Analysen
Was ist der gleitende Durchschnitt?
Der gleitende Durchschnitt (im Englischen MA = Moving Average) ist ein technischer Indikator, der den Durchschnittswert der Schlusskurse eines Assets innerhalb eines bestimmten Zeitfensters angibt. Er ist der am meisten verbreitete technische Indikator, der in unterschiedlichen Varianten angewendet wird, die Basis zahlreicher Indikatoren darstellt und wichtiger Bestandteil verschiedener Börsenhandelsstrategien ist.
Wie berechnet man den gleitenden Durchschnitt?
Den gleitenden Durchschnitt gibt es in den verschiedensten Varianten. Man unterscheidet jedoch drei Grundtypen des gleitenden Durchschnitts:
- Einfacher gleitender Durchschnitt (SMA = Simple Moving Average)
- Exponentiell geglätteter gleitender Durchschnitt (EMA = Exponential Moving Average)
- Gewichteter gleitender Durchschnitt (WMA = Weighted Moving Average)
Einfacher gleitender Durchschnitt (SMA)
Ein einfacher gleitender Durchschnitt wird wie folgt berechnet:
Dabei gilt:
P = Preis, aus dem der Durchschnitt gebildet wird
N = Anzahl der Tage, über die der gleitende Durchschnitt berechnet wird
Beispiel:
Angenommen, man möchte den SMA einer Aktie über drei Tage berechnen und der Preis der Aktie beträgt an drei aufeinanderfolgenden Tagen 14, 15 und 16 USD. Folglich beträgt der SMA 15 ([14 + 16 + 15]/3 = 15). Beträgt der Preis am vierten Tag 17 USD, so steigt der SMA der letzten drei Tage auf 16 ([16 + 15 + 17]/3 = 16).
Der SMA war vor allem sehr beliebt, als es noch keine Computer gab, da er sich sehr leicht berechnen ließ. Er hat jedoch einen gravierenden Nachteil, da er sich in Reaktion auf einen neuen Preis in zweifacher Weise verändert:
Der gleitende Durchschnitt ändert sich einerseits durch das Hinzukommen eines neuen Datenpunkts und zum anderen zusätzlich durch den Wegfall eines früheren Kurses am Anfang des Zeitfensters. Fällt ein hoher Preis weg, sinkt der gleitende Durchschnitt, fällt ein niedriger Preis weg, steigt er. Diese Veränderungen haben jedoch nicht notwendigerweise mit der aktuellen Marktwirklichkeit zu tun.
Die Problematik tritt bei kürzeren gleitenden Durchschnitten stärker auf, als bei längeren. Fällt beispielsweise ein einzelner besonders hoher Preis weg, so wird eine 10-Tage-Linie eines gleitenden Durchschnitts stärker erschüttert, als ein 200-Tage-Linie. Daher ist man mit einem EMA grundsätzlich besser bedient, als mit einem SMA.
Exponentiell geglätteter gleitender Durchschnitt (EMA)
Ein exponentiell geglätteter gleitender Durchschnitt (oft auch nur als exponentiell gleitender Durchschnitt bezeichnet) gewichtet die jüngsten Daten stärker. Dadurch reagiert er schneller auf Veränderungen, weshalb er sich besser als Werkzeug für die Trendfolge eignet, als der SMA. Der EMA reagiert durch die Glättung zudem nicht so sprunghaft wie der SMA auf wegfallende Datenpunkte. Er wird wie folgt berechnet:
Dabei gilt:
K = | |
N = | Anzahl der im EMA enthaltenen Tage |
Pheute = | Heutiger Preis |
EMAgestern = | EMA von gestern |
Der EMA hat gegenüber dem SMA zwei wesentliche Vorteile. Erstens wird dem letzten Handelstag ein größeres Gewicht beigemessen, wodurch die jüngste Stimmung der Masse bedeutender wird. Zweitens fallen alte Daten wie beim SMA nicht einfach aus dem Mittelwert heraus, sondern schwinden langsam dahin. Die frühere Stimmung klingt also noch etwas nach.
Gewichteter gleitender Durchschnitt (WMA)
Während beim EMA dem letzten Handelstag mehr Gewicht beigemessen wird, ermöglicht es ein gewichteter gleitender Durchschnitt, jedem beliebigen Tag eine beliebige Gewichtung beizumessen, je nachdem, was der Anleger bzw. Trader als wichtig erachtet.
Sehr gebräuchlich ist der linear gewichtete gleitende Durchschnitt, bei dem der aktuellste Kurs am höchsten gewichtet wird, während der am weitesten zurückliegende Kurs am niedrigsten gewichtet, wobei der Abstieg bis zu diesem Punkt linear erfolgt.
WMAs sind relativ kompliziert anzuwenden, weshalb man in den meisten Fällen mit der Verwendung von EMAs besser bedient ist.
Welche Zeitperioden verwendet man für einen gleitenden Durchschnitt?
Es gibt keine allgemein gültige Empfehlung, für das optimale Zeitfenster eines EMAs. Gute Indikatoren sind jedoch robust und sollten nicht allzu empfindlich auf kleine Änderungen der Parameter ansprechen.
Möchte man längere Trends erfassen, so verwendet man einen längeren gleitenden Durchschnitt. Eine 200-Tage-Linie eignet sich für langfristig orientierte Anleger, die mit größeren Trends handeln wollen.
Trader, die ihren Handel auf kürzere Zeitperioden ausrichten, können hingegen einen EMA zwischen 10 und 30 wählen. Kürzer als 8 Tage sollte allerdings kein gleitender Durchschnitt sein, sonst würde der Zweck als Trendfolge-Indikator verloren gehen.
Wie können gleitende Durchschnitte in der Praxis angewendet werden?
Die Anwendungsbereiche gleitender Durchschnitte sind mannigfaltig. Unter anderem stellen sie auch die Basis anderer technischer Indikatoren und Oszillatoren wie dem RSI, dem MACD oder der Stochastik dar. Im Folgenden wollen wir ein paar der vielen etablierten Einsatzmöglichkeiten gleitender Durchschnitte aufgreifen bzw. Strategien, die auf ihnen basieren:
- Überschneidung von gleitendem Durchschnitt und Kurs
- Trends erkennen und handeln
- Unterstützung und Widerstand
- Preiskanäle und die Ermittlung des „wahren Werts“ einer Aktie
- Anwendung mehrerer gleitender Durchschnitte
1. Überschneidung von gleitendem Durchschnitt und Kurs
Die herkömmliche und grundlegendste Methode des Handels anhand von gleitenden Durchschnitten ist deren Überschneidung mit Kursen:
- Durchkreuzen die Kurse den gleitenden Durchschnitt von unten nach oben, so ist dies ein Hinweis auf einen Aufwärtstrend, was ein entsprechendes Kaufsignal auslöst.
- Durchkreuzen die Kurse den gleitenden Durchschnitt von oben nach unten, so kann dies ein Hinweis auf einen Abwärtstrend sein, weshalb ein entsprechendes Verkaufssignal ausgelöst wird.
Bei Seitwärtsbewegungen des Marktes kommt es hingegen zu vielen Zick-Zack-Bewegungen und häufigen Überquerungen der Linie, wodurch viele falsche Signale ausgelöst werden.
2. Trends erkennen und handeln
Die rasche Trendbeurteilung zählt ebenfalls zu den grundlegendsten Funktionen des gleitenden Durchschnitts. Dazu genügt es, einfach auf die Richtung zu achten. Eine aufwärts gerichtete Linie zeigt einen Aufwärtstrend an, eine abwärts gerichtete Linie hingegen einen Abwärtstrend. Folgende Implikationen für den Handel können daraus abgeleitet werden:
- Steigt ein EMA, so handelt man am besten long und kauft bestmöglich, wenn der Preis in die Nähe des gleitenden Durchschnitts fällt.
- Fällt ein EMA, so handelt man am besten short und kauft bestenfalls, wenn die Preise in Richtung des EMA steigen.
- Stagniert der EMA hingegen, so zeigt er eher einen ziellosen und trendlosen Markt an. In solchen Marktsituationen sollte man nicht nach Trendfolge-Methoden handeln.
Allerdings ist es nicht immer ganz so einfach. Parallel zum gleitenden Durchschnitt sollte man auch die Kursbewegungen der Aktien beobachten. Stimmt die Kursrichtung mit der Linie des gleitenden Durchschnitts überein, so ist ein Trend intakt. Verlaufen die Kurse und die Linie des gleitenden Durchschnitts in entgegengesetzte Richtungen, so verlangsamt sich der Markt und es könnte eine Trendumkehr bevorstehen.
Weiters sollte man auch auf die Entfernung zwischen den Aktienkursen und den Linien des gleitenden Durchschnitts achten. Während es in einem seitwärts verlaufenden Markt nur einen sehr geringen oder gar keinen Abstand zwischen Kursen und der Linie gibt, halten sich die Kurse in einem gesunden Aufwärtstrend in angemessener Entfernung über dem gleitenden Durchschnitt auf, in einem Abwärtstrend unterhalb. Ist der Abstand zwischen den Kursen und dem gleitenden Durchschnitt übermäßig groß, so handelt es sich vermutlich um einen überzogenen Trend.
3. Unterstützung und Widerstand
Gleitende Durchschnitte können als Unterstützung und Widerstand fungieren. Ein steigender gleitender Durchschnitt fungiert eher als Boden unter den Preisen, ein fallender gleitender Durchschnitt eher als Decke über den Preisen. Deshalb lohnt es sich, in der Nähe eines gleitenden Durchschnitts zu kaufen bzw. in der Nähe eines fallenden gleitenden Durchschnitts zu shorten.
4. Preiskanäle und die Ermittlung des „wahren Werts“ einer Aktie
Die Annahme, dass sich Preis und Wert einer Aktie voneinander unterscheiden, ist eines der entscheidenden Konzepte der Marktanalyse. Man kauft Aktien, wenn man meint, dass der aktuelle Preis unter dem wahren Wert liegt, da man erwartet, dass der Preis in weiterer Folge steigen wird. Hingegen verkauft man eine Aktie, wenn man der Meinung ist, dass der Preis über dem wahren Wert liegt, da man davon ausgeht, dass der Preis vermutlich sinken wird.
Aber wie soll man den Wert einer Aktie definieren? In Rahmen der Fundamentalanalyse geschieht dies durch die Analyse von Bilanzen und Jahresberichten. Doch auch technische Analysen können Werte definieren. Dies lässt sich beispielsweise dadurch bewerkstelligen, indem sogenannte „Preisbänder“ bzw. Preiskanäle geschaffen werden.
Konkret wird dabei der Abstand zwischen einem schnellen und einem langsamen EMA verfolgt. Der schnelle EMA repräsentiert dabei den kurzfristigen Wertkonsens der Marktteilnehmer, der langsame EMA hingegen den langfristigen. Der Bereich zwischen diesen beiden EMAs wird auch als „Value Zone“ bezeichnet, da man davon ausgeht, dass der wahre Wert irgendwo zwischen diesen beiden Linien zu Hause ist.
Die Parameter der beiden gleitenden Durchschnitte sollten dabei so gewählt werden, dass der langfristige EMA in etwa doppelt so lang ist, wie der kurzfristige. Der langsame EMA hilft dabei, den Trend zu erkennen, der schnelle setzt hingegen die Grenze der Value Zone. Sowohl beim Kauf von Aktien, als auch beim Shorten lohnt es sich, die Grenzen der Value Zone zu beachten, um nicht zu teuer zu kaufen oder zu günstig zu verkaufen.
Eine etwas andere Variante von Preisbändern sind die sogenannten Bollinger Bänder. Diese beiden Linien werden anhand der Standardabweichungen ermittelt und schließen die Linie des gleitenden Durchschnitts in der Mitte ein. Die obere Linie fungiert dabei als Widerstand, die untere als Unterstützung. Bewegen sich die Kurse außerhalb dieser Bänder, so kann dies auf eine überzogene Bewertung hindeuten.
5. Anwendung mehrerer gleitender Durchschnitte
Manche Strategien basieren auf der Anwendung mehrerer gleitender Durchschnitte. Die Lieblingsmethode von Richard Donchian beispielsweise, einem der ersten Experten für das Trading anhand von gleitenden Durchschnitten, war die gleichzeitige Verwendung der gleitenden Durchschnitte über 4, 9 und 18 Tage. Ein Handelssignal lag vor, wenn alle drei Linien in dieselbe Richtung drehten, eine Methode, die allerdings nur in Märkten mit ausgeprägten Trends funktionierte.
Andere Methoden suchen gezielt nach einer Überkreuzung (Cross) mehrerer gleitender Durchschnitte, was einen potenziellen Trade-Einstieg anzeigen kann. So gibt es beispielsweise ein Trading-System mit drei gleitenden Durchschnitten über 20, 50 und 200 Tage. Während die 200-Tage-Linie den größeren Trend anzeigt und als Unterstützung oder Widerstand fungiert, liefern die Schnittpunkte der 20- und 50-Tage-Linien entsprechende Handelssignale. Kreuzt die 20-Tage-Linie die 50-Tage-Linie von unten nach oben, so wird ein Kaufsignal generiert. Durchkreuzt die 20-Tage-Linie die 50-Tage-Linie von oben nach unten, so wird hingegen ein Verkaufssignal ausgelöst.
So sehr sich gleitende Durchschnitte für den kurz- und langfristigen Aktienhandel etabliert und diesen bereichert haben, sollten Anleger dennoch stets im Auge behalten, dass die Anwendung des gleitenden Durchschnitts keine Garantie für Gewinne darstellt. Marktschwankungen und unvorhersehbare Ereignisse können sich jederzeit auf Trends auswirken und keine Strategie besitzt Allgemeingültigkeit. Handeln Sie also besonnen, um unnötige Risiken zu vermeiden und eine solide Grundlage für Ihren langfristigen Erfolg an den Finanzmärkten zu schaffen!