Sell in may and go away – wie sinnvoll?
Im Zusammenhang mit dem Handel von Aktien gibt es eine Reihe von Börsenweisheiten, auf die sich manche Anleger stützen. Neben dem Spruch „The trend is your friend“ zählt ebenfalls die Börsenweisheit „Sell in may and go away“ zu den bekannteren am Markt. Wir möchten uns im Beitrag mit diesem Börsenspruch beschäftigen und darauf eingehen, ob es sich heute für Anleger noch lohnt, nach dieser Strategie vorzugehen.
Was versteht man unter der Börsenweisheit „Sell in may and go away“?
Übersetzt bedeutet die Börsenweisheit „Sell in may and go away“, dass Anleger ihre Aktien im Mai verkaufen sollten und sich die nächsten Monate vom Aktienmarkt fernhalten.
Nach dem Verkauf im Mai sollten sich die Investoren anschließend ab bzw. nach September wieder mit den Wertpapieren eindecken, sodass die Aktien erneut bis einschließlich April im Depot gehalten werden.
Grundlage für die Börsenweisheit, die gleichzeitig für nicht wenige Anleger zu einer Strategie beim Investment in Aktien geworden ist, ist die Tatsache, dass die Aktienmärkte in der Vergangenheit häufiger während der Sommermonate schlechter als im Herbst und Winter performt haben. Es gibt eine Reihe von Statistiken, die belegen können, dass Aktien am Markt tatsächlich in den Monaten Mai bis September nicht so gut wie in den anderen Monaten des Jahres gelaufen sind.
Historischer Rückblick zur Entstehung
Voraussichtlich gibt es das Sprichwort „Sell in may and go away“ seit dem 19. Jahrhundert. Die Entstehungsgeschichte ist nach Auffassung der meisten Fachleute im Finanzdistrikt von London beheimatet. Heute wird nur noch die verkürzte Form der Börsenweisheit genutzt, denn vollständig lautete sie damals: „Sell in May and go away, and come back on St. Leger’s Day“. Grund und Anlass war zur damaligen Zeit die Tatsache, dass bestimmte Personenkreise im Sommer in den Urlaub gingen und London verließen, sodass sie vorher Ihre Stocks verkauften. Dabei handelt es sich insbesondere um:
- Banker
- Wohlhabende Kaufleute
- Adlige
Wenn die Personen nach den warmen Monaten im Sommer wieder ihre Sommerresidenz verließen und nach London zurückkehrten, war es in der Regel später September. Dann deckten sie sich wiederum mit Stocks am Markt ein. Nach der Entstehung setzte sich die Strategie in den nächsten Jahrzehnten weiter fort, weil der Effekt tatsächlich in vielen Fällen statistisch nachvollziehbar ist. Das Verhalten wurde zu einer Börsenweisheit, die bis heute sehr bekannt ist.
Ist „Im Mai verkaufen und weggehen“ wahr?
Wie schon kurz erwähnt, gibt es eine Reihe von Untersuchungen und Statistiken, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Strategie „Sell in may and go away“ in der Vergangenheit oftmals aufgegangen ist. Tatsächlich waren in vielen Jahren die Entwicklungen an den Börsen in den Monaten Mai bis September schlechter als von Oktober bis einschließlich April. In der Hinsicht ist also an der Weisheit für Anleger etwas dran.
Ein Aspekt wird allerdings bei der Börsenweisheit häufig außer Acht gelassen: Zwar fällt die Rendite bei Aktien oftmals zwischen Mai und September geringer als von Oktober bis April aus.
Trotzdem gab es auch in den Sommermonaten häufig einen positiven Ertrag, von dem Anleger profitieren konnten. Letztendlich war der Verkauf im Mai demnach die schlechtere Entscheidung. Auch in den Monaten Mai bis einschließlich Oktober hätten Anleger – wenn auch eine geringere – Rendite mit ihren Aktien erzielen können.
Hinzu kommt, dass diese Theorie und Strategie für ein Investment in Aktien durch mehrere größere Kurseinbrüche nur vermeidlich untermauert wurde, die – mehr oder weniger zufällig – zwischen Mai und September stattfanden. Das betrifft zum Beispiel die Einbrüche am Aktienmarkt in den folgenden Jahren:
- 1998
- 2001
- 2002
Heutzutage ist es oft nur noch ein Zufall, ob die Börsenweisheit „Sell in may and go away“ aus Sicht des Investors zutrifft oder nicht. Im Jahre 2021 zum Beispiel gab es eine sehr positive Performance der Aktien in den Monaten Mai bis einschließlich September, sodass die Strategie in diesem Jahr nicht richtig lag.
Sollten sich Anleger an die Börsenweisheit halten?
Heutzutage ist es so, dass sich die meisten Experten und Analysten von sogenannten saisonalen Strategien verabschiedet haben. Darunter fällt auch die Börsenweisheit „Sell in may and go away“. Danach sollen Anleger ihre Aktien von Oktober bis April kaufen bzw. halten und anschließend im Frühjahr verkaufen. Hinzu kommt, dass es schon lange nicht mehr wie früher der Fall ist, dass die meisten Akteure am Markt sich in eine längere Sommerpause verabschieden.
Das ist darauf zurückzuführen, dass im Zeitalter der Digitalisierung Aktien teilweise automatisch auch dann gehandelt werden, wenn die entsprechenden Käufer und Verkäufer nicht persönlich am Markt zugegen sind. Darüber hinaus sollten Sie folgende Aspekte beachten, die ebenfalls eher dafür sprechen, dass Sie sich nicht an die Börsenweisheit als Ihre Strategie halten:
- Die Börsenweisheit ist für langfristig orientierte Anleger weitestgehend unwichtig, da meistens auch zwischen Mai und Oktober – wenn auch mitunter geringere – positive Renditen erzielt werden.
- Temporärer Aufstieg aus dem Aktienmarkt und späterer Einstieg verursacht zusätzliche Kosten in Form der Transaktionsgebühren.
- Die Strategie beinhaltet das Risiko einer sogenannten Sektorkonzentration auf bestimmte Aktienwerte.
- Performance innerhalb eines bestimmten Zeitraums aus der Vergangenheit sagt nichts über die Zukunft aus.
- Durch einen Verkauf im Mai trennen Sie sich eventuell von einer Aktie, mit der Sie zukünftig noch sehr gute Renditen erzielt hätten.
Wenn heute noch zum Einhalten der Börsenweisheit „Sell in may and go away“ geraten werden kann, betrifft das nahezu ausschließlich eher kurzfristig orientierte Anleger und sogenannte Trader.
Allerdings ist es dann wichtig, für die Monate Mai bis Oktober ein alternatives Investment mit einer höheren Rendite zu finden. Aktien zu verkaufen und den Cash nur auf dem Konto zu deponieren, ist definitiv die unrentablere „Geldanlage“.