So konnten Konzerne in den Niederlanden bis 2020 Milliarden sparen
Die Niederlande galten bis Ende 2020 als eines der größten Steuervermeidungsparadiese in Europa. Zusammen mit Luxemburg und Irland waren die Niederlande bekannt dafür, dass für internationale Konzerne großzügige Steuerregelungen galten. Ein Beispiel hierfür war das mittlerweile abgeschaffte Prinzip: „Double Irish with a Dutch Sandwich.“
Internationale Unternehmen konnten ihre Verluste im Ausland bei ihrer Steuererklärung in den Niederlanden geltend machen und auf diese Weise ihre Steuerlast erheblich reduzieren. Gewinne wurden gleichzeitig über Tochterfirmen in Irland versteuert. Attraktiv waren zudem die niedrigen Steuersätze auf Lizenzgewinne und Zinsen. Zu den weiteren Vorteilen des niederländischen Steuersystems gehörte die Tatsache, dass keine Quellensteuer auf Zinsen und Tantiemen erhoben wird.
Viele deutsche und internationale Konzerne haben und hatten aus diesem Grund ebenfalls Büros oder kleinen Dependancen in den Niederlanden. Die Körperschaftsteuer liegt in den Niederlanden für steuerpflichtige Erträge über 245.000 Euro ab 2021 bei 25 %. Darunter liegende steuerpflichtige Erträge werden mit 15 % Körperschaftssteuer eingepreist. Körperschaftssteuer wird ausschließlich auf den Gewinn und nicht auf geistiges Eigentum berechnet. Aufgrund der zahlreichen bis 2020 geltenden Steuervorteile hat die niederländische Zentralbank mehrere Tausend mitarbeiterlose Finanzfirmen registriert, deren einziger Zweck es war, die Steuerlast zu drücken.
Steuern in den Niederlanden: Ab 2021 gilt Vollversteuerung von Gewinnen für Großkonzerne
Seit 01.01.2021 haben die Niederlande zahlreiche Vergünstigungen abgeschafft. Diese betreffen vor allem die internationalen Großkonzerne, beispielsweise Shell oder Philips. Sie müssen ihre Gewinne in den Niederlanden voll versteuern. Zur Bekämpfung der Steuerumgehung wurde im Jahr 2019 zusätzlich eine Hinzurechnungsbesteuerung eingeführt. Unter Hinzurechnungsbesteuerung versteht man in der Praxis, dass der Gewinn der ausländischen Gesellschaft der inländischen Gesellschaft direkt zugerechnet wird. Das Verrechnen von Verlusten im Ausland ist nicht mehr möglich. Ausschließlich im Inland generierte Verluste wirken sich steuermindernd aus.
Auch das Prinzip „Double Irish with a Dutch Sandwich“ wurde von den Irischen und Niederländischen Steuerbehörden auf internationalem Druck gestoppt. Firmen wie Apple oder Microsoft nutzten in der Regel zwei in Irland registrierte Unternehmen, von denen eines seinen Steuerwohnsitz in Irland hatte. Das andere Unternehmen war in einer Übersee-Steueroase, beispielsweise auf den Bermudas registriert, wo Konzernerträge nicht versteuert werden müssen. In den Niederlanden wurde eine weitere Filiale gegründet, um den Vorteil der Quellensteuer-Befreiung zu nutzen. Auf diese legale Weise konnten Großkonzerne ihre Milliardengewinne in Steueroasen verschieben, ohne nennenswerte Steuern in der EU zahlen zu müssen. Gelichzeitig gilt ab 2021 eine bedingte Quellensteuer auf Zinsen und Tantiemen.
G7-Gipfel der Finanzminister beschließen 2021 weitgehende Steuersystemänderungen
Auf dem G-7-Gipfel der Finanzminister im Sommer 2021 wurden darüber hinaus weitreichende Änderungen des internationalen Steuersystems beschlossen. Die wichtigste Entscheidung betrifft einen weltweit geltenden Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Unternehmen. Auch durch diese Veränderung werden Möglichkeiten entzogen, in Steueroasen Gewinn zu niedrigen Steuersätzen zu versteuern und in der EU Verluste abzuschreiben.
Steuervorteile in den Niederlanden: So funktionierten Vereinbarungen mit Steuerbehörden
Die meisten sogenannten Briefkastenfirmen waren und sind in und um Amsterdam angesiedelt: Zum Beispiel findet man in Amsterdam Unternehmensableger von Starbucks, Ikea oder Volkswagen. Viele internationale Großkonzerne sind vor Ort, nur wenige haben Mitarbeiter.
Mithilfe eines Heeres an Steuerberatern, Juristen und Bankern verschoben die Unternehmen Gewinne, Kosten und Aktivitäten über Ländergrenzen hin und her. Über Tochterfirmen wurden Patente, Markenrechte, Lizenzgebühren oder Darlehenszinsen in die Steueroasen verlagert. Der Gewinn, der am Ende versteuert werden muss, wurde kleingerechnet. Holdings und multinationale Konzerne hatten zudem die Möglichkeit, mit der niederländischen Steuerbehörde selektive Spezialverabredungen zu treffen, die der Geheimhaltung unterliegen.
Diese “aggressive Steuergestaltung” hatte nichts mit Steuerhinterziehung zu tun: Für die Unternehmen war sie ein legaler und attraktiver Weg Steuern zu sparen. Manche Konzerne sollen weniger als ein Prozent Steuern auf die künstlich verlagerten Gewinne bezahlt haben.
Zum öffentlichen Thema wurde das Phänomen, als sich herumgesprochen hat, wie extensiv gerade bekannte Konzerne diese Steuervorteile nutzen. Amazon hat zuletzt so gut wie keine
Steuern in Deutschland bezahlt, Starbucks keinen einzigen Cent.
Seit Kurzem ist es in den Niederlanden nicht mehr möglich, sogenannte individuelle Steuerregelungen mit den Finanzbehörden zu schließen, wenn sich diese auf Transaktionen mit Unternehmen mit Sitz in einem Land beziehen, das auf der der EU-Liste der nicht kooperativen Steuergebiete steht. Ziel aller Maßnahmen ist es, diejenigen Unternehmen durch Steuervorteile zu fördern, die in den Niederlanden Mitarbeiter beschäftigen. Die Gesetzesänderungen und novellierten Regelungen spülen der niederländischen Regierung schätzungsweise mehr als 250 Millionen Euro pro Jahr in die Staatkasse.
Steueroptimierung am Beispiel von Starbucks
Am Beispiel des amerikanischen Kaffeehaus-Unternehmens Starbucks ist ablesbar, wie Steueroptimierung in den Niederlanden funktioniert. Insgesamt hat Starbucks in den Niederlanden 20 Filialen und seine europäische Zentrale. Aus gutem Grund: Sobald jemand in Europa eine Tasse Starbucks-Kaffee trinkt, muss die betreffende Filiale dafür Lizenzgebühren in Höhe von 6% des Umsatzes an die Zentrale in Amsterdam zahlen. Dies bedeutet für die Praxis, dass sich die unterschiedlichen Starbucks-Unternehmen in Europa gegenseitig Leistungen in Rechnung stellen.
Durch diese Steueroptimierung kann die Filiale in den Niederlanden ihren Gewinn drosseln – und braucht weniger Steuern zu zahlen. Die Zentrale in Amsterdam wiederum muss für die eingenommenen ausländischen Lizenzgebühren ausschließlich eine geringe Gebühr an den niederländischen Fiskus abführen.
Wie die Niederlande als Standort profitieren
Aufgrund von internationalen Verträgen und steuerlichen Sonderregelungen werden ausländische Konzerne in den Niederlanden bevorzugt behandelt und brauchen weitaus weniger Abgaben und Steuern zu zahlen als heimische Firmen.
Jeder Unternehmer, der sich für den Standort Holland entscheidet, kann mit dem Finanzamt für eine individuelle Regelung einen Termin ausmachen. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um einen multinationalen Konzern handelt. Um von individuellen Steuersätzen zu profitieren, können Unternehmen mittels „Steuerrulings“ (ATR) oder der Verrechnungspreisgestaltung (APA) im Voraus mit den Steuerbehörden absprechen, wie hoch deren Steuerlast ausfallen wird. Seit 2019 haben die Niederlande ihre „Ruling-Politik“ verändert, sodass ausschließlich Unternehmen bevorzugt werden, die einen erheblichen Beitrag zur niederländischen Wirtschaft leisten.
Insgesamt machen 12.000 ausländische Firmen von den besonderen fiskalischen Regelungen Gebrauch, darunter 800 deutsche. Davon haben circa 85% keine Mitarbeiter. Sie sparen jedes Jahr geschätzte 30 Mrd. € an Steuern. Die restlichen Unternehmen sorgen in den Niederlanden für knapp 13.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze. Und alle Unternehmen zusammen für Einnahmen von rund 3 Mrd. € pro Jahr.
Mehr Steuergerechtigkeit durch internationale Vereinbarungen
Die Steuervorteile in den Niederlanden und in anderen Ländern werden vor allem durch die Steuersystemänderung der G7-Finanzminister nachdrücklich beeinflusst. Es liegt auf der Hand, dass der jahrelange Druck anderer EU-Staaten und der Europäischen Union ebenfalls dazu beigetragen hat, dass Steuervergünstigen, die anderen EU-Staaten geschadet haben, abgeschafft wurden. Durch die Neuregelung, bei der Großkonzerne in den Niederlanden ihren Gewinn voll versteuern müssen, werden die Anreize für global agierende Konzerne minimiert, die Niederlande mit Briefkastenfirmen als Steuervermeidungszone zu missbrauchen.